Heilweisen

Üblicherweise wird heutzutage Krankheit als Verirrung und fehlerhaftes Verhalten des Körpers angesehen, von Heilung gar nicht mehr gesprochen. Es wird ‚disease management’ gefordert. Damit ist gemeint: Es genügt, Beschwerdefreiheit, Besserung der Symptome, Normalisierung von Werten, Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu erreichen.

Krankheit stellt aber den noch nicht ganz geglückten oder manchmal auch verunglückten Versuch dar, ‚Etwas’ zu überwinden, das unserem Einblick und Zugriff nicht auf den ersten ungeübten Blick zugänglich ist. Was wir als Krankheit bezeichnen, beinhaltet also in Wirklichkeit den Impuls zur Gesundung. Dieses ‚Etwas’ stellt die eigentliche Erkrankungsursache dar.

In der Erkältung ist dieses ‚Etwas’ die in den Körper unerwünscht eingedrungene Kälte, die er mit Hilfe der uns allen wohlbekannnten Reaktionen wie Fieber, Schleimabsonderung usw. zu überwinden sucht. Diese Reaktionen nennen wir Symptome, fassen sie zusammen unter der Krankheitsbezeichnung Erkältung. Dabei stellt, was wir als Erkrankung bezeichnen, die Heilreaktion dar. Dieser Trugschluß führt uns nun zu entsprechend absurdem therapeutischen Handeln: Wir versuchen, die Symptome niederzuknüppeln und denken, dadurch die Krankheit zu besiegen. Dabei zerstören wir die Strategie des Körpers, über Fieber und Schleimsekretion die Kältestörung zu beseitigen.

Heilung ist der gelungene Versuch, Heilreaktionen zu unterstützen oder überhaupt erst anzuregen, welche den Kampf gegen das jeweilige ‚Etwas’ (im obigen Beispiel die eigentliche Erkrankung Kältung) erfolgreich zu Ende führen. Sie ist also keine Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes des Körpers sondern sogar ein neuer Zustand, der um diesen Erfolg reicher, erfahrener, weiser ist.

Ein gebrochener Knochen ist an seiner Bruchstelle in geheiltem Zustand stärker als vorher.

Im Heilen werden also Prozesse angeregt, die zur Überwindung des eigentlichen Problems führen – in der Erkältung also zur Überwindung der Kälte, nicht des Fiebers. Es ist Ausdruck der ärztlichen Kunst, das Fieber zum Erfolg zu führen. Der erfolgreiche Arzt schafft also die Bedingungen, damit die naturgegebenen Heilkräfte sich durchsetzen können.

Medicus curat, natura sanat.

Unsere gesamte westliche chemisch orientierte Pharmazie stellt nach dieser Sichtweise keine Heilmittel her. Ein Antibiotikum behandelt das Bakterium. Es sollte also auch die Rechnung erhalten.

Wie reguliert der Arzt nun die Heilkräfte? Seit Galen, also seit etwa 2000 Jahren, galt vornehmlich das Prinzip: ‚contraria contrariis curare’ (Gegensätze durch Gegensätze ausgleichen – die antipathische Methode). War im Körper z. B. zuviel Wärme (Fieber, Abszeß), wurde gekühlt..

Aber auch das gegenteilige Prinzip war bekannt: Bei Kältung eines Körperteils wurde dieses mit Schnee eingerieben, um dadurch den Körper anzuregen, mit erhöhter Wärmezufuhr zu antworten. Es wurde provoziert.

Dieses provozierende Prinzip ‚similia similibus curentur’ (Ähnliches mit Ähnlichem zu heilen) wurde von Hahnemann zur Methode der Homöopathie ausgearbeitet.

Er fand heraus, dass Pflanzen, Mineralien, tierische Stoffe im Körper Reaktionen hervorrufen, die er in der Summe der Symptome als Arzneimittelbild erfasste. So reagiert der Körper nach Einnahme der Chinarinde so, als würde er an Malaria erkrankt sein. Setzt man die Einnahme nicht fort, verschwindet das Krankheitsbild wieder. Gibt man nun einem an Malaria erkranktem Menschen Chinarinde, kann der Körper mit dieser Hilfestellung die Malariaerkrankung überwinden. Warum?
Weil die Chinarinde wie ein Appell an den Körper wirken kann, effektiv zu reagieren. Die Malariasymptome sind bereits der Versuch, die Krankheit zu überwinden. Nur bleibt der Körper in dem Prozeß meist stecken und kann ihn nicht bis zum Erfolg führen. Die Chinarinde erschafft die gleichen Impulse, provoziert und verstärkt damit die schon vorhandene vom erkrankten Körper begonnene Strategie und vermag ihr dadurch oft die endgültige Durchschlagskraft verleihen. Sie gibt quasi noch mal einen Ansporn, einen Ruck.

Ist der Ruck zu stark, kommt es zur Erstverschlechterung. Sie zeigt an, dass der vom Arzt gesetzte therapeutische Impuls zwar passend aber zu heftig war.

Die Methode der Homöopathie findet dann ihre Begrenzung, wenn der Körper z. B. wegen zu großer Erschöpfung nicht gezielter oder/und noch stärker zu reagieren vermag.

Meine Lieblingsheilmethode besteht allerdings darin, mit Heilmitteln zu arbeiten, die dem Körper neue Impulse, neue Strategien vermitteln bzw. ihm gezielt dort helfen, wo er nicht weiterkommt.

Vergleichen wir es mit pädagogischem Vorgehen. Der Homöopath spiegelt das Verhalten des Schülers (die Symptomatik des Kranken) und hofft: Wenn der Lernende die Gelegenheit bekommt zu erkennen, wie er sich verhalten hat, reicht das aus, um eine entsprechende Korrektur vorzunehmen.

Ich bevorzuge die dritte Heilweise: möglichst genau dort, wo der Schüler (Patient) sich verrannt hat, etwas nicht versteht und somit nicht weiter kommt, gezielte Hilfestellungen zu geben. Genau diese Möglichkeit zu therapieren bietet die Therapie mit chinesischen Kräutern und die Therapie mit Medikamenten der anthroposophischen Therapierichtung.

Die Chinesen beschreiben die Heilmittel wie Individuen, die ein konkretes Fähigkeitsprofil haben. So ergibt sich die Möglichkeit, ein Team aufzustellen, das zur Bewältigung einer genau definierten Situation geeignet erscheint.
Voraussetzung ist allerdings, dass der therapierende Arzt fähig ist, die Krankheitssituation des Patienten in ihrer Tiefe detailliert zu erkennen und die Kräuter in ihren Eigenschaften und in ihrer Teamfähigkeit therapeutisch einsetzen zu können.

Noch einmal zum Vergleich:
Der Homöopath sucht nach einem Mittel, das exakt das gleiche Symptomenbild erzeugt, das der Patient zeigt und gibt ihm dann das Mittel in einer Stärke, die ihm angemessen erscheint, um die Eigenregulation des Patienten durch Provokation zum Erfolg zu führen.

Nun werden Sie zu Recht sagen, dass die meisten anthroposophischen Mittel der Fa. Weleda und Wala doch auch wie Homöopathika potenziert als Dilutionen oder Verreibungen (D1, D2, …) vorliegen. Stimmt! Potenziert bedeutet aber nur, dass die Wirkkräfte der Materie durch den Vorgang des Potenzierens (fälschlicherweise oft auch Verdünnen genannt) gewonnen wurden und nun in den Flüssigkeiten oder Pulvern enthalten sind. Dieser Vorgang, die Wirkkräfte (… das, was die Welt im Innersten zusammenhält …hat Goethe es formuliert) der Materie durch Potenzieren abzugewinnen, ist eine Methode des alchemistischen Vorgehens und kein Charakteristikum der Homöopathie.

Für die Methodik der Homöopathie ist es charakteristisch, nach Wirkkräften zu suchen, die das Krankheitsbild erzeugen und durch deren Gabe den Organismus aufzurütteln. Es ist ein homöopathisches Vorgehen, kalte Gliedmaßen mit Eis abzurubbeln und dadurch zu erwärmen. In der anthropsophischen Medizin sucht man nach Wirkkräften, die strategisch im oben beschriebenen Sinn unterstützend eingesetzt werden.

Beide Methoden nutzen also die durch Potenzierung gewonnenen Wirkkräfte und setzen deshalb potenzierte Stoffe ein, setzen diese aber pädagogisch unterschiedlich ein.

In der chinesischen Kräutertherapie potenziert man die Kräuter nicht. Sie werden von Ihnen als Decoct zubereitet. Im Koch- und Köchelvorgang gewinnen Sie den Kräutern die Wirkkräfte ab und schweißen die verschiedenen Kräuter dabei sogar zu einem Team zusammen. Ein guter Koch versteht sofort, was ich andeute.